Leitbilder lassen sich auf verschiedenen Abstraktionsebenen formulieren, die ganz unterschiedliche Funktionen haben.

1. Ebene: Schlagworte
Diese am stärksten verdichtete Ebene dient vor allem als Gedächtnisstütze, schließlich merkt sich am Ende niemand ganze Sätze. Oft besteht diese Ebene tatsächlich nur aus einem Wort, z. B. Vertrauen, Offenheit, Leistung, etc.. Es können aber auch kurze(!) Wortkombinationen sein, wie z. B. „Gemeinsam sind wir stark“ oder „Konflikte konstruktiv lösen“.

2. Ebene: Kurzbeschreibung
Auf dieser Ebene wird das Schlagwort knapp erklärt, gedeutet und weiter konkretisiert. Somit wird das Schlagwort mit Leben gefüllt. Diese Erklärung sollte immer noch für jeden in der Organisation universell gültig sein. Beispiel für Vertrauen: „Wir wollen das Vertrauen fördern. Dazu gehört das Vertrauen in die gute Absicht, in die Kompetenz und in die Leistungsbereitschaft des anderen. Wenn Vertrauen missbraucht wird, adressieren wir dies immer im direkten Gespräch.“

3. Ebene: Konkretes Verhalten
Diese Ebene ist in vielen Leitbildern aus gutem Grund nicht oder nur exemplarisch enthalten. Würde man die konkreten Verhaltensbeschreibungen mit aufnehmen, wären die meisten Leitbilder viele Seiten lang. Dies liegt daran, dass diese Ebene nicht mehr universell gültig sein kann, da sie kontext- und personenabhängig unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Die Verhaltensbeispiele z. .B. zum Vertrauen im Marketing können ganz andere sein als in der Buchhaltung. Vertrauen auf Bereichsleiterebene bedeutet i. d. R. etwas anderes als für den Mitarbeiter am Band. Ein Beispiel könnte hier sein: „Wenn ein Kollege eine Aufgabe neu übernimmt, frage ich zunächst, ob er sie sich zutraut und welche Unterstützung und Begleitung er dabei benötigt. Dann gebe ich ihm den Freiraum, seinen eigenen Weg zu finden.“ Eine solche Formulierung wäre sicherlich nicht in allen Situationen passend sondern beschreibt exemplarisch eine konkrete Vereinbarung in einer Abteilung.
Trotzdem ist diese Ebene die wichtigste, denn nur hier findet am Ende eine Veränderung des Verhaltens statt, die ja mit jedem Leitbild langfristig angestrebt wird. Die aktive langfristige Auseinandersetzung aller Mitarbeiter mit dieser Ebene ist daher der entscheidende Bestandteil jedes wirksamen Leitbilds. Die Ebenen 1 und 2 für sich genommen bewirken noch gar nichts.

Folgendes Beispiel eines Führungsleitbilds soll die Bedeutung der Auseinandersetzung mit der 3.Ebene noch einmal drastisch verdeutlichen.

1. Ebene (Schlagwort): „Konsequenz“
Ein wichtiges Stichwort und Bestandteil vieler Leitbilder, über das meist große Einigkeit herrscht nach dem Motto: „Ja, das brauchen wir hier bei uns.“

2. Ebene (Beschreibung): „Wenn ein Mitarbeiter einen Fehler macht, wir dieser sofort adressiert.“
Auch hier werden noch viele sagen, ist o.k., vielleicht sollten noch andere Aspekte von Konsequenz berücksichtigt werden, aber grundsätzlich könnten wahrscheinlich viele Führungskräfte mit dieser Formulierung leben.

3. Ebene (Verhalten): „Ich entdecke, dass mein Mitarbeiter aus Versehen ein Produkt falsch eingepackt hat. Ich schreie ihn vor versammelter Mannschaft an und streiche ihm und dem ganzen Team die Mittagspause.“
Ist dies das, was mit den ersten beiden Ebenen gemeint war? Sicherlich nicht, aber es ist ein Verhalten, dass durchaus zu den ersten beiden Ebenen passt und zumindest nicht im Widerspruch zu diesen steht.

Deshalb ist es so wichtig, sich wirklich damit auseinander zu setzen, was genau die ersten beiden Ebenen bedeuten und was nicht. Belasse ich es bei der Entwicklung meines Leitbilds bei Ebene 1 und 2 kann ich mir auch gleich ein fertiges Leitbild aus dem Internet kopieren und an die Wand hängen. Die Formulierungen tun in der Regel niemandem weh, alle sind sich einig: So soll es sein. Die Einigkeit endet i. d. R. erst auf der Verhaltensebene. Wer diese Mühe scheut, sollte deshalb lieber kein Leitbild etablieren.